Kanada – Das weite Land in scheinbarer Endlosigkeit
Die erste Etappe von Halifax bis zum Gare Centrale. In Halifax wartete zur Mittagszeit nahe den Piers der „Ozean“ auf seine Fahrgäste. Er ist eine der Prachtstücke der staatlichen Bahngesellschaft VIA Rail mit glänzender harter Schale aus rotfreiem Stahl aus den Fünfziger Jahren und jüngst bewusst nostalgisch herausgeputztem Innerem.
Der Schaffner, mit einem Ahornblattanstecker am Revers, weist uns unsere Plätze zu und scherzt zwischendurch mit zwei älteren Damen, bevor sich der Zug nach Truro auf den Weg macht.
Um 18 Uhr kommen wir in Moncton an, wo wir zwanzig Minuten Zeit haben, um uns die Beine zu vertreten. Von 1876 bis 1989 war Moncton „das“ Eisenbahnzentrum Kanadas, denn hier hatten erst Intercolonial Railway, dann der Nachfolger Canadian National Railway ihre Reparaturwerkstätten. Als sie 1989 schlossen, schien Monctons wirtschaftlicher Fall unaufhaltsam. Aber nach einer rigorosen Umstrukturierung ist die Stadt heute Phone City, das Teleservice-Zentrum Kanadas. Viele Unternehmen haben von 1992 bis 1998 ihre Callcenter hierher verlegt und viertausend neue Arbeitsplätze geschaffen.
Es ist bereits dunkel, als wir bei Bathurst die Baie des Chaleurs erreichen. Unser Zug rattert weiter, vorbei an den Sandstränden und kleinen romantischen Akadierdörfern, um sein nächstes Ziel die Grafschaft Matapédia zu erreichen.
Allmählich tritt im Zug Ruhe ein, nachdem auch die letzten Nachtbummler allmählich in ihren Betten dem nächsten Ziel entgegenschlafen. Als der Morgen graut, ist Halt in Drummondville, wo sich jedes Jahr im Juli Bewohner aller Kontinente zum farbenfrohen Weltfolklorefestival versammeln. Wir nähern uns einem der Höhepunkte auf unserer Reise der historischen Victoria Bridge, eine Eisenbahnbrücke, die 1859 feierlich eröffnet wurde und die über den St. Lorenz führt. Gemächlich schnauft unserer Zug langsam auf die Skyline der zweitgrößten Metropole Kanadas zu. Hinter den rosa, grün und schwarz-schimmernden Wolkenkratzern Montréals thront der berühmteste Hügel der Montérégie: der Mont Royal.
Alles kramt und packt, bevor um kurz nach acht an der Gare Centrale zunächst einmal Endstation ist.
In einem modernen Bauklotz verpackt, macht der Bahnhof nicht sehr viel her. Nur drei Straßen weiter, vorbei an der Kathedrale Marie-Reine du Monde, einem kleinen Replikat der Sankt-Peters-Basilika in Rom, erhebt sich an der Ecke La Gauchetière / Peel der 1889 unverkennbar von Canadian Pacific Railway (CPR) errichtete Bahnhof Windsor: verschnörkelt und mit Türmchen im Stil eines Schlosses, wie es CPR beim Bau aller seiner Hotels und Bahnhöfe im Land hielt.
Schnell von Metropole zu Metropole
Zurück zum Gare Centrale, um uns auf die zweite Etappe unserer Reise zu begeben. Der Zug, einer der schnelleren Sorte, wird voll. Immerhin verbindet er die zwei wichtigsten kanadischen Metropolen miteinander und fährt durch die dichteste besiedelte Region des Landes. Am St.-Lorenz-Strom entlang durchstreifen wir eine der ältesten Schienenstränge des Landes.
Lange vor der Ankunft erreicht der Zug die Metropolitan Area von Toronto. Endlos ziehen sich Wohn- und Gewerbegebiete am See entlang, bis schließlich die Skyline der City mit ihren kantigen Wolkenkratzern auftaucht, überragt von dem mit 533 Meter Höhe fast aufdringlich wirkenden CN Tower. In Union Station mit mächtigem Säulenportal und der wohl schönsten Bahnhofshalle des Landes ist nach viereinhalb Stunden wieder eine Fahrt zu Ende.
Am nächsten Morgen beginnt der interessanteste Teil unserer Reise. Es bleiben noch mehr als 4400 Kilometer bis Vancouver. Nach wenigen Stunden durch sanft hügeliges Land wird die Gegend schroffer. Am Eingangstor zum Nordufer der Großen Seen liegt eingeschoben die kahle Mondlandschaft von Sudbury. Vorbei an Alberta und durch die Rockies klettert der Zug den 1131 Meter hohen Yellohead Pass hinauf. Über dem Yellohead Lake thronen Mount Fitzwilliam (2910 Meter) und Mount Rockingham (2376 Meter). Weiter geht es Stunden über Stunden mit schneebedeckten Bergen, Gletschern und zerklüfteten Hängen, mit Wasserfällen, Flüssen und klaren Seen bis hin zum Ende unserer Reise, die nach insgesamt fast hundert Stunden Fahrt in der Skyline der dritten Metropole des Landes in Vancouver ihren Abschluss findet. Vor dem Bahnhof leuchten die Blumenbeete und nur ein paar Schritte weiter strahlt der Pazifik.